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Shark Info   (15.11.1998)

Author

  Intro:

Haiunfälle oder Haiangriffe 1/2

Shark Info

  Hauptartikel:

Haiangriffe - ein andauernd faszinierendes Rätsel

Dr. E. K. Ritter

  Artikel 1:

Haiangriffe im Mittelmeer

Ian K. Fergusson

  Artikel 2:

Umfrage: Wieviel wissen Sporttaucher über Haie und Haiunfälle?

Shark Info


Shark Info Umfrage: Wieviel wissen Sporttaucher über Haie und Haiunfälle?

Bericht Shark Info

(Mit Erläuterungen des Haiforschers Dr. E. K. Ritter)

Um das Wissen über Haie und ihr Verständnis von Haiunfällen zu erfassen, führte Shark Info im September 1998 eine Umfrage bei Sportauchern in der Schweiz und in Deutschland durch. Befragt wurden Sporttaucher und in der Ausbildung von Sportauchern tätige Tauchlehrer. Taucher, die beruflich mit Haien zu tun haben, wurden bewusst ausgenommen. Insgesamt wurden 19 Fragen zu verschiedenen Themenkomplexen gestellt.

Auswertung, Auslegung und zusätzliche Erläuterungen Dr. Erich Ritter

Im Folgenden werden die Ergebnisse zu den einzelnen Themenkomplexen mit Hinweisen auf Auffälligkeiten und Auslegungen dargestellt. Weil es sich herausstellte, dass bei den Sporttauchern häufig falsche oder überholte Ansichten bestehen, gibt der Haiforscher Dr. Erich Ritter zu einigen Themen Erläuterungen aus seiner langen Erfahrung aus Feldforschungsarbeiten mit Haien im Wasser.

Wissen und eigene Erfahrungen mit Haien

Eine interessante Diskrepanz zeigt sich zwischen tatsächlicher Erfahrung mit Haien und der persönlichen Einschätzung des vorhandenen Wissens über diese Tiere. 28% der Befragten sind im Wasser noch nie selbst einem Hai begegnet, trotzdem haben 42% «etwas» und 50% «mittlere» Kenntnisse über Haie. Dies zeigt, dass das Wissen vieler Befragten wohl aus Magazinen und vom Fernsehen stammen muss, denn immerhin 58% halten die Informationen der Boulevardpresse für «unglaubwürdig» und nur 14% für «mittel». Damit liegt auch der Schluss nahe, dass Wissen und Meinung über Haie zwar von den Medien beeinflusst werden, die Befragten ihre Informationen aber auch noch auf andere Weise (zum Beispiel vom «Hörensagen») und aufgrund eigener Ideen oder Interpretationen gewinnen.

«Gefährliche» Situationen mit Haien im Wasser

Fast alle Befragten halten «Blut im Wasser» - sowohl von offenen Wunden als auch von verletzten Fischen - und 58% das «Zappeln» des Tauchers für gefährlich. Nur 14% bezeichnen «Monatsblutung» als gefährlich. 50% sehen im «Schwimmen an der Oberfläche» Gefahr. Gleichzeitig wurde ein «grellfarbiger Tauchanzug» (3%) als ungefährlich angesehen. «Nervosität» wird deutlicher (19%) als «hoher Puls» (6%) als möglicherweise gefährlich eingestuft.

Dr. Erich Ritter: Das Thema «Monatsblutungen als Blutquelle» wurde in den Tauchmagazinen schon mehrfach und meist von Ärzten - ohne jede praktische Erfahrung mit Haien - diskutiert. Mangels sich für Feldversuche mit Haien im Wasser zur Verfügung stellender Probandinnen konnte ich die Wirkungen von Monatsblutungen auf Haie bisher selbst nicht untersuchen. Da Haie aber in der Lage sind, auch winzigste Blutkonzentrationen im Wasser (1:10 Milliarden Teilchen!) wahrzunehmen, werden sie zweifellos auch Monatsblutungen orten können und auch darauf reagieren. Meines Erachtens bildet jedoch ein intakter Tauchanzug von 7 mm Stärke eine gute Barriere gegen eventuell ins Wasser austretende Blutbestandteile. Will die betroffene Frau ohne Tauchanzug oder nur mit Tropenanzug bekleidet mit Haien tauchen, empfehle ich ihr, sich in der Strömung unterhalb und in angemessener Distanz des Hais aufzuhalten. Ich gehe dabei nicht davon aus, dass der Hai die Frau nun gleich als interessante Beute sehen wird, wenn er Blutbestandteile geortet hat. Ich schliesse aber nicht aus, dass beim Hai eine erhöhte Neugier entstehen kann. Monatsblutungen sind, bei richtigem Verhalten, kein allzu grosses Problem, dürfen dennoch aber auch nicht verharmlost werden. Häufig sind während ihrer Periode tauchende Frauen - wohl aus Unsicherheit darüber, wie der Hai nun reagieren würde - zusätzlich nervöser, was ebenfalls auf Haie stimulierend wirken kann.

Farben (z. B. grellfarbiger Tauchanzug) und insbesondere Kontraste spielen bei Haien eine grosse Rolle und können die Neugierde des Hais wecken. Wegen des Kontrasts kann auch ein Taucher vor der hellen Wasseroberfläche attraktiv auf Haie wirken.

Sowohl Nervosität als auch erhöhter Puls bewirken eine Veränderung des elektrischen Feldes und der vom Hai wahrnehmbaren Niederfrequenz-Schallwellen, die ein Taucher aussendet. Ein hoher Puls ist - sieht man von beim Sporttauchen selteneren Anstrengungen ab - meist mit Nervosität verbunden. Haie registrieren Niederfrequenz-Schallwellen wesentlich früher als etwa bioelektrische Felder.

Richtige Reaktion beim plötzlichen Erscheinen eines Hais

Taucher, die sich gerade IM FREIEN WASSER befinden, geben sehr verschiedene Antworten. Die meisten reagieren zumindest teilweise richtig, indem sie «ruhig» bleiben und «langsam» schwimmen. Keiner der Befragten würde auf den Hai zuschwimmen.

Dr. Erich Ritter: Das auf den Hai Zuschwimmen ist die sicherste Verhaltensweise beim Zusammentreffen mit einem Hai im freien Wasser, denn das «Wegschwimmen» kann einen «Verfolgungstrieb» des Hais provozieren. Das Zuschwimmen auf den Hai hingegen löst keinen Angriff des Hais aus, er wird wegschwimmen oder zumindest grössere Distanz suchen (sog. Outer Circle oder Äusserer Kreis). Es ist wichtig, den Hai stets im Auge zu behalten. Häufig schauen Taucher - vielleicht aus Angst - einfach weg und hoffen wohl etwas naiv, der Hai habe sie nicht gesehen. Doch er hat! Haie orientieren sich an unserem Körper und erkennen die kopforientierte Koordination, auch wenn sie tatsächlich nicht «wissen», was ein Mensch ist. Der Taucher MUSS dem Hai zu erkennen geben, dass er ihn gesehen hat. Dies geschieht am besten durch ein Zuschwimmen auf den Hai! Zugegeben, dies erfordert stärkere Nerven. Deshalb notfalls auf den Grund - nicht aber an die Oberfläche - schwimmen!

Die Mehrzahl der Taucher (64%) sucht bei einer Haibegegnung NAHE EINEM RIFF sofort «Deckung im Riff».

Dr. Erich Ritter: Dies ist gerade die schlechteste Lösung. Das Riff bietet nur trügerische Sicherheit, denn ein Riffhai kann genau dort sein «temporäres Territorium» sehen und es verteidigen wollen. Deckung im Riff zu suchen ist nur empfehlenswert, wenn der Taucher vom Hai noch nicht gesehen wurde. Bei Begegnungen mit Riffhaien ist die bessere Reaktion, weg vom Riff ins freie Wasser zu schwimmen. Anders verhält es sich natürlich, wenn sich nahe am Riff ein Hochseehai, zum Beispiel ein Weisser Hai, nähert. In diesem Fall kann die Flucht ins Riff durchaus angezeigt sein, wenn der Mut des Tauchers nicht ganz ausreicht, um dem Hai entgegen zu schwimmen.

Potentiell «gefährliche» Haiarten

Wie erwartet decken sich die Antworten mit den gängigsten Ansichten der Medien und Populärliteratur. Der Weisse Hai gilt als «gefährlichster» Hai (83%), gefolgt von Tiger- (53%), Mako- (47%) und Hammerhai (31%).

Dr. Erich Ritter: Unfälle mit Makos und Hammerhaien sind bekannt, jedoch so selten, dass sie fast an einer Hand abzuzählen sind. Erstaunlich ist, dass nur gerade 8% der Befragten Zitronenhaie (Negaprion brevirostris) und 19% Bullenhaie (Carcharhinus leucas) als «gefährlich» einstufen. Bullenhaie sind wahrscheinlich häufiger für Unfälle mit Menschen verantwortlich als der gefürchtete Weisse Hai. Oft wird bei der Rekonstruktion von Unfällen mit Haien hauptsächlich auf Zahnabdrücke zurückgegriffen. Die Zahnspuren der Oberkieferzähne von Bullenhaien sehen denjenigen des Weissen Hais aber sehr ähnlich. Wenn im Unfallgebiet auch noch Weisse Haie gesichtet wurden, genügt dies oft schon, um den Weissen Hai (Carcharodon carcharias) als Täter zu verdächtigen. Damit tut man möglicherweise sehr vielen Weissen Haien unrecht und unterschätzt gleichzeitig stark die «Gefährlichkeit» des Bullenhais.

«Gefahr» signalisierende Verhaltensmuster von Haien

Als bedrohliches Hai-Verhalten wird vor allem das «Umkreisen» (58%), die «steife Schwanzflosse» (56%) und das «auf den Taucher Zuschwimmen» (33%) gesehen.

Dr. Erich Ritter: Auch bei diesem Themenkomplex wird deutlich, dass die häufig in den Medien und am Stammtisch diskutierten Verhaltensmuster dominieren. Zum Beispiel das «Umkreisen» ist - obwohl in den Medien meist so beschrieben - nicht besonders beunruhigend. Da der Hai wegen seiner Biologie meistens schwimmen muss, ist das Umkreisen sein normales Verhalten bei der Beobachtung eines für ihn unbekannten Tauchers. Am ehesten ein Zubeissen eines Haies ankündigend ist das rhythmische Öffnen und Schliessen des Mauls (sog. Gaping). Bei diesem Verhalten etwa eines Weissen Hais ist grösste Vorsicht geboten. Hierzu ist allerdings anzumerken, dass Haie beim Fressen ihre Kiefer justieren, was ebenfalls durch ein Öffnen und Schliessen geschieht. Schwimmt ein Hai auf und ab, zeigt er damit an, dass er sich in der gegebenen Situation nicht wohl fühlt. Deshalb ist auch bei diesem Verhaltensmuster angemessene Vorsicht geboten.

Glaubwürdigkeit der Boulevardpresse und der Tauchmagazine

Bei den Tauchern fällt die Boulevardpresse mit ihren Berichten zu Haiangriffen voll durch! 60% der Befragten beziffern deren Glaubwürdigkeit mit mageren 10% und weitere 20% halten die Boulevardpresse für nur zu 25% glaubwürdig. Tauchmagazine kommen erwartungsgemäss besser weg. Immerhin 20% der Taucher beurteilen Haiartikel in Tauchzeitschriften mit «gut» und 64% mit «geht so». Aber auch hier halten 11% «nichts» davon. Obwohl die meisten Tauchmagazine in den letzten Monaten gewichtig das Thema Hai behandelten, möchten 14% der Befragten noch mehr über Haie lesen und keinem einzigen (!) wurde bereits zuviel über Haie geschrieben.

Generelles Interesse an Haien

Die befragten Sporttaucher haben ein steigendes Interesse an Haien und deren Umwelt. Beachtliche 53% haben bereits - speziell um Haie im Wasser sehen zu können - besondere Tauchferien gebucht.

Wichtigkeit der Haie für das «Ökosystem Ozean» und existentielle Bedrohung der Haie

Die Einsicht der Taucher wächst. Volle 75% sind der Meinung, dass Haie für das Ökosystem Ozean «zwingend erforderlich» (53%) oder «sehr wichtig» (22%) sind. Deutlich wird hier, dass mit zunehmendem Wissen der befragten Taucher über Haie auch deren Wichtigkeit höher eingestuft wird. 39% sehen den Weissen Hai als «vom Aussterben bedroht». Gefolgt von «vielen» Haiarten und diversen Hochsee-Haiarten. Bemerkenswert ist, dass je 8% «alle» und «keine» Haiarten als existentiell bedroht anschauen.

Dr. Erich Ritter: Ob und welche Haiarten aussterben werden, ist aus wissenschaftlicher Sicht derzeit sehr schwierig zu beurteilen. Es gibt aber Indizien dafür, dass der Weisse Hai bereits heute nicht mehr zu retten ist. Fest steht, dass sich gegenwärtig die Populationen von etwa 100 Arten im Rückzug befinden. Fest steht auch, dass das Ökosystem Ozean ohne Haie so stark dereguliert würde, dass es schliesslich zusammenbrechen würde. Haie als häufigste Topräuber der Meere mit über 50 kg Körpergewicht - und damit der ganzen Welt - sind tatsächlich unverzichtbar für das Ökosystem Ozean.

Organisierte Haifütterungs-Tauchgänge und Empfindung beim Anblick von Haien

Speziell organisierte Tauchgänge mit angefütterten Haien finden 68% der Befragten «schlecht», 17% haben keine Meinung und nur 8% finden sie «gut». Dieses deutliche Ergebnis wird untermauert durch die persönliche Empfindung über Haie: 70% der Befragten finden Haie «herrliche Tiere» (50%) oder «ziemlich schön» (20%), keiner findet Haie «ekelhaft».

Dr. Erich Ritter: Ich verstehe sehr gut, dass Haifütterungs-Tauchgänge - im Sinne eines teuren, reisserischen und für die Haie oft entwürdigenden Spektakels - bei Tauchern überwiegend keinen Anklang finden. Ich selbst sehe oft schlimme Auswüchse davon und gehe intensiv dagegen an. Allerdings retten solche Tauchgänge auch vielen Haien das Leben! Weil Tauchtouristen dafür viel Geld zahlen, steigt der Wert der beteiligten Haie. Schätzungen auf den Bahamas ergaben, dass ein Hai dort zwischen 10 und 20'000 Dollar (!) im Jahr «wert» ist. Durch die Abschlachtung desselben Tieres würden hingegen gerade einmal 10 Dollar anfallen! Die erkannte «Wertzunahme» der Haie brachte auf den Bahamas ein generelles Verbot der Langleinen-Fischerei auf Haie, es wurden Marineparks eingerichtet und weitere Haischutzmassnahmen verfügt.

Grösster Schaden für die Haie

Erwartungsgemäss wird die Fischerei als schädlichster Eingriff für die Haie gesehen (42%). Das «Abschneiden von Flossen», «asiatische Wundermittel», «Touristen» und «Umweltverschmutzung» liegen alle etwas unter 20%. Überraschenderweise bezeichnen aber 33% der Befragten auch «Presse und Medien» als schädlich für die Haie! Dies zeigt deutlich, dass die Medien die Publizität der Haie zwar fördern, diesen aber auch schaden. Offensichtlich wünschen sich die Konsumenten von Medienberichten - zumindest jedoch die Taucher - eine adäquatere Berichterstattung zum Thema Hai. Besonders unbeliebt sind anscheinend die fast durchwegs reisserisch aufgemachten und oft beliebig ausgeschmückten Haiangriffs-Berichte der Boulevardmedien.

Konsum von Haiprodukten

Die Antworten zu den Fragen nach wissentlichem Konsum von Haifleisch und Haiprodukten («Heilmittel») erstaunen: 64% der Befragten haben «noch nie» Haiprodukte konsumiert. Von den 36%, die «selten» angeben, haben über 50% selbständig entschuldigende Bemerkungen wie «vor langer Zeit», «als Kind» oder «nur einmal» eingefügt! Dies macht deutlich, dass die Schädlichkeit des Konsums von Haiprodukten den Konsumenten selbst bewusst ist und sogar ein schlechtes Gewissen vorhanden zu sein scheint.

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* Dr. Erich K. Ritter ist Haibiologe und Adjunct Assistenz Professor an der Hofstra Universität, New York.

Veröffentlichung nur mit Quellenangabe: Shark Info



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modifiziert: 04.06.2016 11:48