Von Harald Gay
Aber was ist mit seinen
Flossen passiert? Die Realität hat leider schon lange nichts mehr mit Prosa oder
den guten alten Tagen der christlichen Seefahrt und der damit verbundenen
Fischerei zu tun. Diese Erkenntnis wurde meinen Begleitern und mir bei einem
Rundgang durch das chinesische Viertel China Town in San Francisco auf
schmerzliche Weise vor Augen geführt.
... wenn wir so weitermachen, bald kein Hai mehr! Wie schon früheren Ausgaben von
Shark Info und anderen Publikationen zu entnehmen war, ist der Hai und
insbesondere seine Flossen zum Ziel eines besonderen Fischereizweiges geworden.
Der Handel mit den Haiflossen floriert, denn die Nachfrage aus den
Hauptabnehmerländern, wie zum Beispiel China und Taiwan ist gross, mit steigender
Tendenz.
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Haiflossen im chinesischen Viertel von San Francisco.
© Harald Gay / Hai-Stiftung
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Für die von rückläufigen Fangergebnissen
geplagte Fischerei und die
schlecht bezahlten Seeleute stellt dies eine willkommene Aufbesserung ihrer
mageren Einkünfte dar (ca. 30 Dollar pro Pfund). Ganze Haie, die oft nur als
Beifang ins Netz oder an den Haken gehen, stellen für die Fischer keinen Wert
dar, denn als Speisefisch gilt Hai als nicht besonders hochwertig und erzielt
entsprechend auf den Auktionen keine hohen Preise. Lediglich die Flossen, die je
nach Haiart, nur 8-14% des Körpergewichtes des Haies ausmachen, können für gutes
Geld verkauft werden. Den Haien werden kurzerhand die Flossen vom Körper
abgetrennt und zum Trocknen unter freiem Himmel ausgelegt. Besonders
verachtenswert ist die gängige Praxis, sich nach dem Anlanden des Tieres nicht
gross mit dessen schneller Tötung aufzuhalten, sondern ihm gleich bei lebendigem
Leib alle wertvollen Flossen (Brust-, Rücken- und manchmal auch die
Schwanzflosse) abzutrennen - der so verstümmelte Hai wird zurück ins Meer
geworfen und verendet dort qualvoll.
Dieses Lächeln
verschwand sehr schnell, sobald die chinesischen Verkäufer feststellten, dass wir
versuchten in ihren Läden das Ausmass vom Handel mit Haiflossen und
Haiknorpelpräparaten auf Foto und Video zu dokumentieren. Mehr als nur einen
Laden mussten wir überstürzt verlassen, um Handgreiflichkeiten zu vermeiden.
«Nein, nein, für Ihren Anspruch benötigen Sie nur die beste Qualität» hörte ich
einen geschickten Händler argumentieren. Er redete auf eine ältere Frau ein, die
eine getrocknete Haiflosse in ihrer Hand hielt. Ein Begleiter der Frau
betrachtete die Flosse beeindruckt und ehrfürchtig zugleich. Die Tatsache, dass
die Preise für Haiflossen explodiert sind und die Flosse in der Hand der Frau
rund 250 Dollar kostet, scheint für die unscheinbar gekleidete Frau und ihren
Begleiter kein Hinderungsgrund zu sein. Auf Drängen anderer Verkäufer verliessen
wir den Laden und konnten daher nicht mehr verfolgen, ob die Bemühungen des
Verkäufers von Erfolg gekrönt wurden.
Als Aphrodisiaka werden Haiflossen in Fernost angepriesen. Aphrodisiaka, so
bezeichnet man Mittel, die den Geschlechtstrieb und die Potenz steigern sollen,
zum Beispiel bestimmte Gewürze, Alkohol oder bestimmte Hormone. Viele symbolische
und mystische Mittel werden dazu gezählt, deren Wirkung wohl mehr auf dem Glauben
an einen Liebestrank und an die Tradition, als auf nachweisbaren Wirksubstanzen
beruht. Wie Tigerknochen und Tigerhoden gilt Haiflossensuppe vor allem in
fernöstlichen Kulturen traditionell als besonders wirksames, die Manneskraft
stärkendes Mittel. Es kann nicht der Geschmack sein, denn Haiflossen haben
keinen. Vielmehr werden sie in Hühnerbrühe mehrere Stunden lang aufgekocht, damit
sie im Zusammenspiel mit Gewürzen einen für den Gaumen angenehmen Geschmack
annehmen. Wir können nur erahnen, wie viele Haie für das zweifelhafte Vergnügen
so einer Haiflossensuppe ihr Leben lassen müssen.
In der Volksrepublik China war
Haiflossensuppe eigentlich verpönt. Sie galt als kapitalistisch und dekadent und
war somit als Nahrungsmittel nicht «parteikonform». Die Veränderungen des
politischen Klimas, der wirtschaftliche Boom in den Sonderwirtschaftzonen und der
Einzug von westlichen Einflüssen sorgte allerdings dafür, dass man sehr schnell
wieder auf den Geschmack an dekadenten Dingen gekommen ist.
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Haiknorpelpräparate im chinesischen Viertel von San Francisco.
© Harald Gay / Hai-Stiftung
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Die Anzahl der in den
zahlreichen Geschäften zum Verkauf angebotenen Flossen überstieg bei weitem
unsere Erwartungen. Aber nicht nur Flossen wurden zum Verkauf angeboten. Alle
Geschäfte boten auch Haiknorpel-Präparate in allen erdenklichen Formen an. Auf
den offenen Fischmärkten wurde zudem auch Haifleisch verkauft. Bei einigen
Fischhändlern fanden wir portionsgerecht zerteilte Leopardhaie (Triakis
semifasciata), die gleiche Art, die täglich von hunderten Kindern und Erwachsenen
im unweit gelegenen Steinhardt-Aquarium bewundert wird.
In den von uns besuchten
Geschäften machten wir zusammengefasst folgende Beobachtungen: Haiflossen wurden
nie unter einem Preis von 100 Dollar pro Pfund zum Verkauf angeboten, der
mittlere Preis lag bei ca. 180 - 200 Dollar. Die höchsten Preise lagen bei 335
Dollar pro Pfund und 250 für eine einzelne Flosse. Bei Knorpelprodukten war die
gesamte Palette von Dragees, Pastillen und flüssigen Präparaten käuflich
erwerbbar. Die gängigen Packungsgrössen lagen zwischen 50 und 100 Dragees oder
Pastillen und wurden für 12 bis 18 Dollar verkauft. Überrschend war für uns die
Erkenntnis, dass diese Produkte nicht wie von uns vermutet in Asien oder
Südamerika hergestellt werden, sondern direkt vor den Toren San Franciscos.
Warum sollte das in der Fischerei anders sein?
Haie werden in den offiziellen Statistiken der Fischereibehörden nur als Beifang
erfasst, in der Regel ohne genauere Artbezeichnung. Daher sind bis heute in den
meisten Ländern auch noch keine rechtlich bindenden Quoten zum Schutz der Haie
erlassen worden. Nur wenige Länder haben Programme zur Arten- und
Populationserfassung, um genauere Daten über die Haie in ihren Gewässern zu
erhalten. Dass über Haipopulationen - manche Arten wandern über tausende von
Seemeilen - nur langfristig verlässliche Daten zu erhalten sind ist nicht schwer
zu verstehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass geeignete Massnahmen dann zu spät
kommen könnten, ist jedoch besorgniserregend.
Nach Abschluss
unseres Rundgangs waren wir schockiert über das, was wir in Erfahrung gebracht
hatten. Uns wurde klar, dass noch vieles getan werden muss, um ein Überleben der
Haie auch im nächsten Jahrtausend zu sichern. Das Meer ist für die Menschheit zum
Selbstbedienungsladen geworden, in dem sich, zumindest in der Vergangenheit,
immer wieder die Regale von selbst gefüllt haben. Doch seit einigen Jahrzehnten
nimmt sich der Mensch immer mehr aus den Regalen, ohne sich darum zu kümmern, wer
die geplünderten Reihen wieder auffüllt. In unserer heutigen Zivilisation sollte
klar sein, dass nur begrenzt verfügbare Ressourcen nicht zu Gunsten von
Aberglaube, Präparaten mit zweifelhaftem Wirkungsgrad und Profitgier ausgeschöpft
werden dürfen. Nur eine sinn- und massvolle Nutzung der Meere wird auf Dauer ein
Überleben beider garantieren - das der Haie und das der Menschen.
* Harald Gay beschäftigt sich schon seit Jahren mit Haien und ist ein
begeisterter Taucher. Er ist Mitglied der Deutschen Elasmobranchier Gesellschaft
und für den Haischutz tätig.
Veröffentlichung nur mit Quellenangabe: Shark Info / Harald Gay
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