Von Dr. Erich K. Ritter
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Der Tigerhai (Galeocerdo cuvier). Jungtiere haben zur Tarnung noch die typischen
Streifen in der Rückenregion, die diesen Haien ihren Namen gaben.
© Doug Perrine / Hai-Stiftung
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Tigerhaie (Galeocerdo cuvier) gehören zu den Grosshaiarten. Ihre Grösse ist
vergleichbar mit der von Weissen Haien (Carcharodon carcharias), sie haben jedoch
eine weniger massige Form. Obwohl ihnen einige Unfälle mit Menschen nachgewiesen
wurden, sind sie in der breiten Bevölkerung wenig bekannt. Das liegt nicht
zuletzt daran, dass sich auch die Wissenschaft nur wenig mit dieser Art befasst.
Ausser in Hawaii gibt es keine aktuellen wissenschaftliche Projekte, die sich mit
Tigerhaien befassen. Dies ist erstaunlich, denn in den Bahamas ist der Tigerhai
der grösste und häufigste aller Superräuber und im westlichen Nordatlantik, Golf
von Mexiko und Kuba ist er die zweithäufigst gefangene Haiart (siehe hierzu auch
den Bericht «Haiforschungsprojekt der US-Regierung»
in dieser Ausgabe). So ranken
sich, gerade bei Inselvölkern, viele Mythologien um die Tigerhaie. Sie gehören
ausserdem zu den wenigen Arten, die während ihrer Wachstumsphase nicht nur die
Körperform, sondern auch die Musterung ändern. Eine weitere Spezialität der
Tigerhaie sind ihre erstaunlich geformten Zähne, die ihnen die Fähigkeit geben,
nahezu jedes Beutetier zerlegen zu können.
Das äussere Erscheinungsbild der Tigerhaie ist
relativ atypisch für eine Art der Grauhaie (Carcharhinidae). Ihr Körper ist
länglicher und ihre Schnauze ist nicht zugespitzt, sondern auffallend flach und
kantig. Tigerhaie sind die einzigen Grauhaie, die Sauglöcher (Spiraculi)
besitzen. Der Name Tiger kommt von der tigerähnlichen Musterung der Jungtiere.
Dieses Muster verblasst mit zunehmendem Alter und ist im Erwachsenenstadium nur
noch sehr undeutlich oder gar nicht mehr erkennbar. Diese scheinbar auffällige
Färbung hat wahrscheinlich eine Tarnfunktion. Die Jungtiere halten sich
gewöhnlich in Ufernähe, direkt unter der Wasseroberfläche, auf. Die Schatten von
Wellen zeichnen im flachen Wasser ähnliche Muster, wie die der jungen Tigerhaie.
Tigerhaie werden in der Regel um die 5.5 m lang. Man nimmt
jedoch an, dass gewisse Tiere bis über 7 m lang werden können (Fourmanoir, 1961).
Ihr maximales Alter kann nur geschätzt werden, sicher werden sie aber mindestens
12 Jahre alt. Erwachsene Tigerhaie haben keine eigentlichen Feinde mehr. Ihre
Grösse verhindert, dass sie von andere Haiarten gejagt werden. Lediglich die
Jungtiere sind diesem Druck ausgesetzt.
Tigerhaie haben das breiteste
Nahrungsspektrum aller Haie. Sie können von Schildkröten über Vögel bis hin zu
anderen Haien und Fischen fast alles fressen. Da neben den verschiedenen
Beutetieren auch viel Unrat wie Autoreifen, Nägel oder Autoschilder in ihren
Mägen gefunden wurde, war diese Art lange als «Abfallfresser» verschrien und
entsprechend wurde sie als primitiv bezeichnet. Doch gerade die vielfältige
Nahrung und ihr einzigartiger Kauapparat lassen die Tigerhaie heute in einem
anderen Licht erscheinen. Die scheinbar fehlende Spezialisierung muss als
hochentwickelt betrachtet werden. Die Besonderheit der Tigerhaie ist die
Verbreiterung ihres Beutespektrums und nicht die Spezialisierung auf eine
bestimmt Beute. Eine Haiart, die über 5 m lang werden kann, hat einen selektiven
(im Sinne ihrer Evolution) Vorteil, wenn sie sich nicht auf wenige Beutearten
beschränken muss. Derart grosse Haie benötigen viel Energie und ein Rückgang
einer Beuteart könnte sich für hoch spezialisierte Formen bedrohlich auswirken.
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Die typischen Zähne der Tigerhaie (Galeocerdo cuvier). Die Zahnregion, die die Säge
vor dem enormen Bissdruck schützt, ist mit einem Pfeil markiert.
© Shark Info
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Tigerhaie unterscheiden sich von anderen Grauhaiarten und generell
den meisten Haiarten durch ihre Zähne und Kiefer. Während Haie, die schwimmende
Beute jagen, in der Regel im Oberkiefer Schneidezähne und im Unterkiefer auf das
Festhalten von Beute spezialisierte spitze, schlanke Zähne haben, besitzen die
Tigerhaie oben und unten Zahnreihen mit je 24 fast identischen Zähnen. Die Zähne
selbst haben sowohl eine Schneide- als auch eine Sägeregion. Die grosse Säge wird
dabei durch den flacheren, hinteren Zahnteil vom enormen Gebissdruck von bis zu 3
Tonnen pro Quadratzentimeter geschützt (siehe Abbildung).
Ein weiterer
Unterschied zu anderen Haien liegt darin, dass Tigerhaikiefer keine runde,
sondern eine fast rechteckige Form haben. Die Kieferknorpel treffen sich beinahe
im rechten Winkel in der Mitte der Schnauze, was den Tigerhaien ihr typisches
Aussehen verleiht.
Die Schwangerschaft dauert bei Tigerhaien
zwischen 15 und 16 Monaten. Die Jungen kommen in der Regel mit einer Länge von 50
bis 70 cm zur Welt. Je nach Aufenthaltsort können die Jungtiere aber wesentlich
grösser geboren werden. So liegt die Geburtsgrösse in der Region um Hawaii zum
Beispiel zwischen 80 bis 90 cm. Die durchschnittliche Anzahl der Jungtiere pro
Wurf liegt bei 41 (Crow, 1995), wobei das Spektrum zwischen 10 und etwa 80 Jungen
liegt (Compagno, 1984). Weibchen scheinen nur alle 3 Jahre zu gebären. Es ist
nicht bekannt, ob Männchen einen ähnlichen Zyklus haben. Generell wird bei den
Männchen jedoch eher ein jährlicher Zyklus vermutet. Tigerhaie sind die einzigen
Grauhaie, die nicht eigentlich lebendgebärend mit Plazenta (plazentale Viviparie)
sind, sondern sich aplazental vivipar vermehren. Ob dies als primitiver angesehen
werden muss, kann nicht beantwortet werden.
Tigerhaie kommen nahezu
weltweit in tropischen und gemässigten Küstenregion vor, wobei sie trübe Gewässer
und Regionen, in die Flüsse münden, bevorzugen. Neben den küsten-nahen Zonen
findet man sie aber auch in der Nähe von Inselgruppen, wie zum Beispiel den
Marshall Inseln, Hawaii, Tahiti, oder auch Galapagos.
Über das
Verhalten der Tigerhaie ist noch sehr wenig bekannt. Sie sind eher dämmerungs-
oder nachtaktiv und zeigen in verschiedenen Regionen von der Tageszeit abhängige
Bewegungsmuster. In der Regel schwimmen sie abends und nachts bis in sehr flache
Regionen, tagsüber ziehen sie sich dann aber in grössere Tiefen zurück. Jungtiere
scheinen tagsüber aktiver zu sein als abends und sie kommen weniger zögernd an
die Wasseroberfläche. Obwohl mehrere Tiere gleichzeitig an Futterquellen
auftauchen können, scheinen gerade grössere Tiere Einzelgänger zu sein.
Wer nicht geübt ist, mit diesen Tieren umzugehen,
sollte sie wenn immer möglich meiden. Sie sind sehr neugierig und können sehr
hartnäckig reagieren, wenn Sporttaucher Fische jagen und harpunieren. Obwohl die
Unfallquote mit dieser Art nicht überbewertet werden sollte, ist es doch nicht
weg zu diskutieren, dass die meisten Unfälle in den Tropen Tigerhaien
zugeschrieben werden müssen. Doch die Gefahr von einem Tigerhai gebissen zu
werden ist, wie für alle anderen Haiunfälle auch, gering. In den hawaiianischen
Gewässern, einer Region mit vielen Tigerhaien, kommt es trotz all den Surfern und
Schwimmern zu weniger als 1 Unfall pro Jahr.
Erstaunlicherweise gaben
die alten Hawaiianer dem Tigerhai und dem Weissen Hai den gleichen Namen:
«Niuhi». Viele der in Hawaii vorkommenden Haiarten wurden als heilig verehrt oder
als Reinkarnationen verstorbener Familienmitglieder betrachtet. Die «Niuhi»
wurden jedoch eher gefürchtet als verehrt. Und dennoch hatten auch diese beiden
Arten ihren Stellenwert in der lokalen Mythologie. Die Legende besagt, dass viele
der Könige im historischen Hawaii ihren Weitblick für Geschehnisse durch das
Verspeisen der Augen der «Niuhi» erlangten. So hätte auch die Mutter des
berühmtesten Königs von Hawaii, König Kamehameha (geboren um 1753, gestorben am
8. Mai 1819), als sie mit ihm schwanger war, nach «Niuhi» Augen verlangt. So
sollen die Führungsqualitäten des späteren Königs durch die «weitblickenden
Augen» der Haie massgeblich beeinflusst worden sein. Doch nicht nur im Pazifik,
sondern zum Beispiel auch auf den Malediven wo sie «Femunu» genannt werden,
galten die Tigerhaie seit jeher als eine ganz spezielle Haiart.
Weiterführende Literatur
Compagno, L. (1984). FAO Species Catalogue. Vol. 4. Part 2. Sharks of the world: 503-506.
Crow. G. L. (1995). The reproductive biology of the tiger shark Galeocerdo cuvierin Hawaii:
A compilation of historical and contemporary data. Abstract, AES-Meeting, Alberta, Canada.<
Fourmanoir, P. (1961). Requins de la côte ouest de Madagascar. Mem. Inst. Sci.
Madagascar (Ser. F). 4: 1-81.
Taylor, L. (1993). Sharks of Hawai´i. Their biology and cultural significance. University
of Hawaii Press.
Veröffentlichung nur mit Quellenangabe: Shark Info / Dr. Erich K. Ritter
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