Hohe Anforderungen an das visuelle System
Haie leben sowohl in küstennahen Flachwasserregionen wie auch in der Hochsee. Gewisse
Arten wechseln im Laufe ihrer Entwicklung von einem Habitat in das andere, während
andere sich an das Leben in der Tiefsee angepasst haben. Die meisten Haie sind sowohl
tag-, dämmerungs- als auch nachtaktiv. Die damit verbundenen wechselnden Licht- und
Sichtverhältnisse sowie weitere optische Randbedingungen führten zu einem gut entwickelten
visuellen System, das sich an die unterschiedlichen Anforderungen der Umwelt angepasst hat.
Haiaugen haben mit jenen des Menschen viele Ähnlichkeiten. So kann sich die Pupille
durch Öffnen und Schliessen der Intensität des einfallenden Lichtes anpassen eine
Fähigkeit, die den Knochenfischen fehlt.
Allgemein wird die Brechkraft des Auges durch das Medium, die vordere und hintere
Hornhaut und die vordere und hintere Linsenfläche beeinflusst. Da die Hai-Hornhaut
(Cornea) unter Wasser auf die Lichtbrechung keinen Einfluss hat, wird die Linse zur
optischen Hauptstruktur. Diese ellipsenähnliche, kristalline Linse besitzt einen sehr hohen
Lichtbrechungswert (refraktiven Index). Bei Zitronenhaien beträgt er 1.66, was einem
Dioptriewert von rund 140 entspricht. Im Vergleich dazu besitzt die menschliche Linse
lediglich einen Wert von ca. 20 Dioptrien.
Die Augenbewegungen werden von drei Paaren extraocularer Muskeln kontrolliert, welche
einerseits schnelle Bewegungen des Auges etwa bei der Verfolgung von Beutetieren
andererseits langsamere zur Fokussierung des Bildes auf der Netzhaut (Retina) ermöglichen.
A Bei schlechten Lichtverhältnissen liegt das Tapetum luciduum frei,
um einfallendes Restlicht zu reflektieren.
B Bei hellem Licht wird das Tapetum luciduum durch bewegliche Pigmente
abgedunkelt.
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Illustration: René Kindlimann /Shark Info 1996
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1 Ligament
2 Coroid
3 Retina
(Netzhaut)
4 Tapetum
luciduum
5 Glaskörper
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6 Sehnerv
7 Linsenmuskel
8 Starres Augenlid
9 Nickhaut
10 Linse
11 Iris (Regenbogenhaut)
12 Cornea (Hornhaut)
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Einige Arten, zum Beispiel der Ammenhai (Ginglymostoma) haben gut entwickelte und
mobile Augenlider. Bei anderen wie etwa bei Grauhaien (Carcharinidae) hat sich das
untere Lid zu einer Art Nickhaut entwickelt, wie sie bei höheren Wirbeltieren (z.B.
bei Adlern) vorhanden ist. Bei Reizungen der augennahen Haut und beim Öffnen des Kiefers
etwa beim Angriff auf ein Beutetier schiebt sich die Nickhaut schützend vor das
Auge. Beim Weissen Hai fehlt sie; er schützt sich, indem er den Augapfel beim Öffnen
des Kiefers gegen hinten dreht.
Alle bis anhin untersuchten Netzhäute besitzen beide bekannten Typen lichtsensibler
Zellen, nämlich Zäpfchen und Stäbchen. Die Anzahl der Stäbchenzellen
überwiegt, was
die Sehfähigkeit bei schlechten Lichtverhältnissen erhöht. Herausstechend ist auch
der Umstand, dass die Zusammensetzung der lichtempfindlichen Chemikalien in den Stäbchenzellen
auf die Wellenlängen des zur Verfügung stehenden Lichtes genau abgestimmt ist. Bei
gewissen Haien ändert sich die Zusammensetzung dieser Sehpigmente beim Wechseln des Habitats.
Für eine weitere Sensivitätssteigerung sorgt eine reflektierende Schicht hinter der
Retina: das sogenannte Tapetum luciduum. Licht, das durch die Sehzellen dringt, wird
durch dieses Tapetum im Augenhintergrund reflektiert, was dazu führt, dass die
Sehschicht ein zweites Mal gereizt wird. Wird ein Haiauge angestrahlt, leuchtet es wie ein
Katzenauge. Das Tapetum luciduum ist eine Struktur, die mit reflektierenden Guaninplättchen
bedeckt ist. Diese sind in einem Winkel angeordnet, der das Licht entlang der
Stäbchen-Längsachse auf die Retina zurückwirft. Derartige Reflektoren können
darauf abgestimmt
werden, Licht auf ganz bestimmte Wellenlängenbereiche zu reflektieren. Die Reflektoren
von Tiefsee- haien beispielsweise spiegeln das Restlicht, das in tiefe Wasserschichten
vordringt, optimal.
Haie können Farben erkennen. Davon gehen neuere Forschungen aus, insbesondere beim
Zitronenhai. Diese Art verfügt über eine weitere Spezialisierung: In einem bestimmten
Abschnitt der Retina hat der Zitronenhai eine erhöhte Anzahl lichtempfindlicher Zellen,
den sogenannten visuellen Streifen. Dieser ermöglicht ihm, während dem Patrouillieren
knapp über dem Meeresboden sein Aktionsfeld visuell optimal zu erfassen.
Auffallend ist, dass Grösse und Lage der Augen bei verschiedenen Arten stark variieren.
Wenig aktive, die flachen Gewässer bewohnenden Haie wie zum Beispiel der Stierkopf
(Heterodontus) und Ammenhai (Ginglymostoma sp.) haben kleine Augen, deren Durchmesser unter
einem Prozent ihrer Körperlänge liegt. Dies lässt den Schluss zu, dass sich
solche Arten bei der Nahrungssuche weniger auf den Gesichtssinn als auf andere sensorische
Systeme stützen. Dagegen weisen aktive Jäger wie etwa der Drescherhai (Alopias)
die in tieferem Wasser operieren, wesentlich grössere Augen auf.
Entgegen einer weit verbreiteten Meinung, Haie sähen schlecht, muss heute angenommen
werden, dass sie ihren Bedürfnissen entsprechend optimal angepasste Augen haben.
Verwendete Literatur:
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Veröffentlichung nur mit Quellenangabe: Shark Info
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