Von Prof. Mahmood S. Shivji
Die Entwicklung vieler
Haipopulationen wird weltweit mit immer grösserer Besorgnis verfolgt. Der Grund für diese Besorgnis
ist, dass die Haifischerei seit den achtziger Jahren sehr stark zunahm. Von Seiten der
Fischereinationen wurden jedoch keine oder nur wenige Bemühungen unternommen, die Haipopulationen zu
schützen und ihre natürlichen Bestände zu bewahren. Haie werden zwar schon seit frühester Zeit als
Lieferanten von Fleisch, Haut oder Leberöl gefangen, doch hielten sich diese Fänge bis in die
achtziger Jahre in vernünftigen Grenzen. Doch dann änderte sich plötzlich der Bedarf des Marktes und
parallel dazu wurde die kommerzielle Fischerei generell sehr stark intensiviert, so dass der Anteil
von Haien im Beifang explodierte.
Das plötzliche Interesse des Marktes an Haien wurde durch die ihren
Knorpeln nachgesagte (aber wissenschaftlich bis heute nicht nachweisbare; Anm. d. Red.)
pharmazeutische Wirkung und dem steigenden Bedarf des asiatischen Marktes an Flossen für
Haiflossensuppe ausgelöst. Hinzu kam, dass die Fänge bis anhin genutzter Knochenfische stetig
zurückgingen und Haifleisch als Ersatz für die traditionellen Fischprodukte herbeigezogen werden
musste. Dass die Beifänge an Haien besorgniserregend steigen, ist auf die weltweite Intensivierung der
Befischung von Hochseefischen wie Thunfischen, Schwertfischen und der grossen Goldmakrele (Coryphaena
hippurus) zurückzuführen.
Viele Autoritäten in diesem Gebiet sind der Überzeugung, dass Beifänge die
grösste Gefahr für die heutigen Haipopulationen darstellen. Eine Statistik der FAO (Food and
Agricultural Organization) verdeutlicht, um welche Mengen an Beifang es sich hier handelt: allein im
Jahr 1991 legten die Thun- und Schwertfischflotten Japans, Koreas und Taiwans Longlines mit zirka 750
Millionen Haken aus. Mit diesen Longlines wurden schätzungsweise 8.3 Millionen Haie gefangen!
Die
Fischereiflotten befischen Haie nicht direkt, und früher wurden die zufällig an die Leinen gegangenen
Haie einfach wieder in das Meer zurückgeworfen. Doch heute werden ihnen die Flossen abgeschnitten und
die verstümmelten Rümpfe der oft noch lebenden Haie im Meer entsorgt.
Wissenschaftler und Tierschützer
sind sich darüber einig, dass so schnell als möglich Schutzbestimmungen und Massnahmen zur
nachhaltigen Bewirtschaftung der für die Oekologie des Meeres so entscheidenden Haie durchgesetzt
werden müssen. Der immense Druck durch die Fischerei kann von den Haien mit ihrem langsamen Wachstum,
später Geschlechtsreife und ihren wenigen Nachkommen nicht mehr kompensiert werden. Heute werden Haie
in der Regel absolut unkontrolliert gefischt, ohne Bewirtschaftungspläne und ohne Berücksichtigung
irgendwelcher Schonzeiten und Grössen, wie es sogar bei Knochenfischen (z.B. Heringen) der Fall ist.
Derartige erhaltende Massnahmen und Bewirtschaftungspläne bedingen allerdings profunde
wissenschaftliche Kenntnisse der Tiere, die man bewirtschaften möchte. Leider wird in dieser Hinsicht
über Haie traditionell sehr wenig geforscht, was heute eine wissenschaftlich fundierte Bewirtschaftung
der Haipopulationen sehr erschwert.
Eines der grössten Probleme ist das Fehlen von verlässlichen
statistischen Daten über die Anzahl der verschiedenen Haiarten in direkten Fängen und Beifängen. Das
Fehlen dieser Daten macht es fast unmöglich, den Druck der Fischerei auf einzelne Arten festzustellen.
Wie andere Wirbeltiere unterscheiden sich auch die verschiedenen Haiarten bezüglich ihres Verhaltens
und ihrer biologischen Charakteristiken (z.B. Anzahl Nachkommen, Wanderungen, Fressverhalten,
Wachstumsraten, Physiologie). Diese Unterschiede machen es wichtig, dass Fangdaten auf Artenebene
gesammelt werden. Denn nur mit diesem Wissen kann vermieden werden, dass gewisse, durch ihre
biologischen Besonderheiten besonders empfindliche Arten, überfischt werden.
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Ausgeweidete Hai Rümpfe ohne Kopf,
Flossen und Schwanz, wie sie am Hafen zum Verkauf angeboten werden.
Meistens können nicht einmal Spezialisten die Art eindeutig
feststellen. (Quelle: J. Castro). © Prof. M. S. Shivj
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Dass derartige
artspezifischen Daten fast gänzlich fehlen, hat zwei Gründe. Der eine ist der, dass sich die einzelnen
Fischereinationen einfach nicht die Mühe machen, solche Daten zu erheben. Der zweite ist, dass es
selbst für Nationen, die eine gewisse Bewirtschaftung ihrer Haibestände praktizieren, sehr schwierig
ist, verlässliche artspezifische Daten zu erheben. Hauptgrund dafür ist, dass oft nur ein geschultes
Auge die einzelnen Haiarten voneinander unterscheiden kann. Gerade bei den besonders häufig gefangenen
Arten der Gattung Carcharhinus ist dies besonders schwer. Ein weiterer erschwerender Faktor ist, dass
die Haie an Bord der Schiffe sofort verarbeitet werden. Um Platz zu sparen werden ihnen Kopf, Flossen
und Schwanz abgeschnitten und aus hygienischen Gründen die Eingeweide entfernt. Grosse Rümpfe werden
meistens noch weiter verkleinert. Diese ausgeweideten Rümpfe werden dann direkt am Hafen verkauft. Die
Artbestimmung eines solchen Rumpfes ist sogar für Fachleute wie Fischereibeobachter oder Fischhändler,
die täglich mit Haien arbeiten, äusserst schwer.
Das Problem der Artbestimmung wird beim Finning noch
grösser. Da nur die Flossen zur Verfügung stehen ist es beinahe unmöglich, nur anhand deren Form und
Beschaffenheit verlässlich auf die Art zu schliessen. Die meisten Haifischerei Experten sind
überzeugt, dass die Hauptgefahr für die Haipopulationen von der Finning Industrie kommt. Haie in
Beifängen, die früher einfach wieder - lebend - ins Meer zurückgeworfen wurden, werden heute gefinnt
und sterben. Betrachtet man die schiere Grösse und das stetige Wachstum dieser Industrie, so wird
deutlich, dass gerade hier genaue Zahlen über die verschiedenen Arten für eine Bewirtschaftung der
Haie sehr wichtig sind.
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Haiflossen deren Herkunft nur
noch mit molekularbiologischen Methoden festgestellt werden kann.
© D. Perrine
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Um das Sammeln von Fangdaten auf dem Artniveau möglich zu machen, haben wir
untersucht, ob sich molekularbiologische Methoden dazu eignen, dieses Identifizierungsproblem zu
lösen. Basierend auf früheren Untersuchungen in meinem Labor konnten wir feststellen, dass sich
bestimmte Regionen der Chromosomen von Haien innerhalb einer Art fast nicht unterscheiden, zwischen
verschiedenen Arten jedoch recht grosse Unterschiede feststellbar sind. In andere Worten; wir fanden
bestimmte DNA Sequenzen, die typisch für eine bestimmte Haiart
sind und so quasi als Fingerabdruck
dieser Art benutzt werden können.
Mit Hilfe dieser Entdeckung und den bekannten, sehr effizienten
molekularbiologischen Techniken konnten wir eine Reihe von DNA-Proben entwickeln, die für eine
eindeutige Identifikation von bestimmten Haiarten eingesetzt werden können. Die Gewebeproben für diese
Untersuchung können sehr klein sein, 10 mg von getrockneten oder frischen Flossen, Haut, Fleisch oder
Blut reichen aus. Wir untersuchen die Proben darauf hin, ob sich ein spezifischer genetischer
Fingerabdruck der Art in ihr befindet oder nicht. Bisher konnten wir DNA-Proben für neun häufig
gefischte oder gefährdete Haiarten entwickeln. Heute können wir auch bei kleinsten Gewebeproben sicher
feststellen, ob sie von einem Weissen Hai (Carcharodon carcharias), Blauhai (Prionace glauca),
Fuchshai (Alopias vulpinus), Heringshai (Lamna nasus), Kurz- oder Langflossen Mako (Isurus oxyrinchus,
I. paucus), karibischen Riffhai (Carcharhinus perezi), düsteren Hai (Carcharhinus obscurus) oder einem
atlantischen Braunhai (Carcharhinus plumbeus) stammen. Wir arbeiten daran, diese Liste zu erweitern.
Um den
Einsatz unserer DNA-Proben im grossen Stil, wie er für die Auswertung von Daten aus der kommerziellen
Fischerei notwendig ist, möglich zu machen, arbeiten wir an der Optimierung des
Identifikationsprozesses. Wir haben zum Beispiel ein neues, hoch interessantes System entwickelt, das
die Untersuchung der Gewebeproben stark vereinfacht und beschleunigt, aber dennoch nichts an
Genauigkeit verliert. Durch Optimierung der DNA-Proben und Testbedingungen können wir heute in einem
einzigen Test alle neun Haiarten gleichzeitig unterscheiden. Dies reduziert den Arbeitsaufwand
gegenüber der Bestimmung von nur einer Art pro Test um fast 90%. So können wir mehr unbekannte Proben
schneller analysieren. Momentan arbeiten wir daran, die DNA-Proben auf einem Biochip zu fixieren, um
die sogenannte Microarray Technologie einsetzen zu können, die eine Automatisierung und dadurch eine
schnelle Auswertung vieler Proben erlaubt.
Wie schon erwähnt, ist die Kenntnis darüber, wie viele
Individuen einer bestimmten Haiart gefangen werden von fundamentaler Bedeutung für den Schutz und die
nachhaltige Bewirtschaftung von Haien. Die Methoden, die wir entwickelt haben, stellen ein praktisches
Werkzeug dar, um das schon lange bekannte Problem der Identifikation von einzelnen Arten zu lösen.
Sobald wir DNA-Proben für noch weitere Haiarten entwickelt haben, gibt es zumindest für diejenigen
Industriestaaten, die ihre Haibestände schonen und schützen möchten, keinen vernünftigen Grund mehr,
unsere Methoden bei der Auswertung ihrer Fischereidaten nicht einzusetzen. Voraussetzung dafür sind
gewisse finanzielle Mittel und ein für sehr einfache molekularbiologische Untersuchungen ausgerüstetes
Labor. Solche Labors gibt es heute in fast jeder grösseren Stadt. Industriestaaten sind für den
grössten Teil der weltweit gefischten Haie verantwortlich. Ihre Beteiligung an der Sammlung
artspezifischer Fangdaten über Haie wäre von unschätzbarem Wert für die Untersuchungen über den
Einfluss der Fischerei auf die weltweiten Haibestände.
Ein anderes Forschungsprojekt unseres Labors
ist eine Analyse der Herkunft der Haiflossen, die weltweit von Gross- und Detailhändlern angeboten
werden. Wir möchten herausfinden, welche Haiarten bevorzugt gefinnt werden. Da sich das Angebot der
Märkte von Land zu Land unterscheidet, nehmen wir an, dass je nach Land auch verschiedene Haiarten
bevorzugt gefischt und gefinnt werden. Wir möchten untersuchen, welche Haie in welcher Region dem
höchsten Druck durch die Fischerei ausgesetzt sind, um so nationalen und internationalen
Schutzorganisationen dabei zu helfen, Schutzprogramme zu starten, die auf soliden Daten basieren.
Ein
weiteres Einsatzgebiet unserer Methoden zur Identifikation verschiedener Haiarten liegt direkt im
Haischutz. Zum ersten Mal wird es möglich sein, bedrohte Haiarten anhand von kleinsten Gewebeproben zu
identifizieren. Durch jetzige oder zukünftige Artenschutz-Abkommen geschützte Haie können, auch wenn
nur Teile von ihnen vorliegen, als solche identifiziert und Verstösse gegen die Schutzabkommen
geahndet werden.
Wir hoffen, dass unsere neue Identifikationsmethode für Haiarten, sobald sie global
eingesetzt wird, einen sehr wichtigen Schritt in Richtung Haischutz und einer besseren Bewirtschaftung
der Haie darstellt.
DNA kommt aus dem Englischen und steht für «desoxyribonucleic
acid». Die deutsche Bezeichnung DNS
für Desoxyribonuklein Säure ist weniger gebräuchlich. Die DNA befindet sich bei Lebewesen mit Zellkern
im Zellkern und enthält die Bauanleitungen für alle Eiweisse des Körpers (Anm. d. Red.).
* Prof. Mahmood S. Shivji ist
Assistenzprofessor am «Oceanographic Center» der Nova
Southeastern Universität in Dania Beach, Florida, USA.
Veröffentlichung nur mit Quellenangabe: Shark Info / Prof. Mahmood S. Shivji
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